Seegras ist ein deutscher Oberbegriff für verschiedene grasähnliche Samenpflanzen, die in den Meeren gedeihen und zur Familie der Seegrasgewächse (Zosteraceae) gehören. Diese weltweit vorkommenden Unterwassergräser können bis zu einer Tiefe von 15 m wachsen und umfassen einige der wenigen submersen Blütenpflanzen. 2003 bedeckten Seegraswiesen beispielsweise im Schleswig-Holsteinischen Wattenmeer, ca. 51 km, 2 der Gezeitenfläche, was ungefähr 90 % des Seegrasbestandes des gesamten deutschen Wattenmeeres entsprach. Die Betitelung „Zostera“ stammt ursprünglich vom griechischen Wort „zoster“ (Gürtel) ab, welches das Seegras nach dessen flachen, bandförmig erscheinenden Blättern (gürtelähnlich) benannte. Als Samenpflanze führt das Seegras die Befruchtung hydrophil aus. Die bis zu 2 mm langen, fädigen Pollenkörner verfangen sich in der Narbe der Empfängerpflanze und führen auf diese Weise eine echte Unterwasserbefruchtung durch. Im Gesamten sind bisher 12 Zosteraarten bekannt, welche zumeist in großen Gruppierungen (Seegraswiesen) wachsen.
Die für die technische Rohstoffaufbereitung in Europa am meisten genutzten Sorten sind hierbei das Zostera Marina (Gemeines Seegras) und das Zostera Noltii (Zwerg-Seegras), das oftmals auch als Zostera Nana betitelt wird.
Das Seegras selbst wurde und wird häufig mit handelsüblichen Bau- und Landwirtschaftsmaschinen unter Aufnahme von großer Sandmenge (Anteil 60 bis 70%) am Strand aufgenommen und anschließend kompostiert oder als Bodenverbesserer auf landwirtschaftlichen Nutzflächen aufgebracht. Ein erheblicher Teil muss aufgrund grober Verunreinigungen durch Umweltverschmutzungen auch gesondert entsorgt werden. Wenn man sieht, wie viel Seegras an den unterschiedlichen Küstenabschnitten angespült wird (Studie aus 2006: Ostholstein ca. 35.900 t/Jahr und in Mecklenburg-Vorpommern ca. 27.200 t/Jahr), so sollte man sich durchaus die Frage stellen, ob es nicht sinnvoller ist, den Rohstoff für weitere Bereiche, wie beispielsweise der Baustoffproduktion oder auch Anderes zu nutzen.
Die möglichen und bereits bekannten Einsatzbereiche wären die Nutzung als:
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Loser Dämmstoff (Schütt- und Einblasdämmung)
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Dämmstoffmatten
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Mineralisch gebundene Innenausbauplatten
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Innenausbauplatten auf MDF-Basis
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Pellets als Katzenstreu
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Formteile (Compounts)
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Küstensicherung (Erosionsschutzmatten)
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Ölsperren
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Polster-, Kissenfüllmaterial
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Papier
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Verpackungsmaterialien
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Erosionsschutzmatten
Zur Geschichte der Rohstoffnutzung
Das im alten Venedig als „Alga vitrariorum“, „Ulva marina“ oder „Alva marina“ (Verpackungsmaterial der venezianischen Glaskünstler) genutzte und heute als biogener Rohstoff eingruppierte Seegras wurde bereits Ende des 19. Jahrhunderts als Ersatz für Holzwolle und wesentlich länger als Füllstoff für unterschiedliche Alltagsprodukte (z.B. Kissen, Polster, Sessel, Matratzen etc.) genutzt. Die Dänen nutzten das Seegras bis ins 19. Jhd. zur Dachdeckung. So sind auch heute noch auf der Insel Læsø, genauer in dem dort befindlichen Museum På Lynget, Häuser zu sehen, die mit Seegras gedeckt wurden. Man nennt die Dächer zwar allgemein Tangdächer, allerdings sind diese nicht mit Seetang sondern mit dem genannten Seegras gedeckt. Zur Vervollständigung sei gleich auch kurz der Unterschied zwischen beiden Pflanzen genannt. Im Gegensatz zum Seetang verfügt das Seegras über Wurzeln und Blüten. Das spannende bei den dänischen Dächern ist, dass man das Seegras für Reparaturarbeiten nicht austauschte, wie beispielsweise bei Gras- oder auch Reetdächern, sondern immer wieder neue Lagen aufgebaut wurden. So ist es durchaus möglich, dass sich in den untersten Schichten der Dachdeckung noch Seegras aus dem 17. Jhd. befindet.
In der Medizin wurde das Seegras, wie auch der Tang übrigens bereits 2700 v. Chr. von den Chinesen, zur Behandlung eines Kropfes (Jodmangelerkrankung) empfohlen. Man hat sehr früh herausgefunden, dass die unterschiedlichen Meerespflanzen eine ganze Menge an nützlichen Rohstoffen, wie beispielsweise das eben angedeutete Jod, aber auch diverse Öle, wie beispielsweise Paraffinöl oder Naphthalöl, liefern. Wodurch später in der Geschichte, auch in Chile, kurzzeitig eine sehr rege Jodproduktion aus Seegras, Algen und Tang entstand. So um 1900 wusste man bereits, dass die Zusammensetzung der Meerespflanzen mit den Jahreszeiten schwankt. So erkannte man, dass beispielsweise der Mineralstoffgehalt, der vorwiegend aus Kaliumverbindungen besteht, gerade im Frühjahr seinen höchsten Wert inne hat. Ende des 19. Jhd. hat man sogar eine Art Kunststoff, ähnlich dem heute bekannten Plexiglas, aus Tang hergestellt. Neben all diesem und vielem weiteren, ist auch schon zu Beginn des letzten Jahrhunderts Kleidung aus so mancher Wasserpflanze, wie beispielsweise dem Tang, hergestellt worden, deren Stoff in älterer Literatur in Art, Stärke und Biegsamkeit, mit dem Naturleder verglichen wurde. Gerade diese Nutzung ist auch heute wieder zu finden, so stellt ein kleines Label aus der Nähe von München eine Kollektion aus Braunalgen her.
Das Seegras selbst, dessen Nährstoffgehalt ebenso als recht gut beschrieben wird, eignet sich auch zur Gewinnung von eiweiß- und zuckerhaltigen Rohstoffen. Darüber hinaus wurden die unterschiedlichen Gräser, wie oben bereits angedeutet, als Füllstoff für Polster und somit als Rosshaarersatz genutzt. Zeitweise wurden sie auch mit gutem Erfolg als Grundstoff bei der Herstellung von Cellulosenitrat (umgangssprachlich auch als Schießbaumwolle oder Nitrocellulose bekannt) herangezogen.
Sie sehen, die Nutzung der Meerespflanzen war schon recht früh in der Geschichte durchgeführt worden und es wurde, insbesondere in Zeiten zu denen Rohstoffe allgemein knapp waren, auch sehr weitreichende Experimente damit durchgeführt.
Nutzung als Dämmstoff
Das gereinigte und getrocknete Zostera wurde, während der letzten Jahre gerade aufgrund dessen hohen Verrottungswiderstandes und dem recht vorteilhaften Absoptionsverhalten, verstärkt auch als Dämmstoff im Bauwesen eingesetzt. Großer Vorteil, der Rohstoff ist mit einem sehr geringen Ressourcenverbrauch aufbereitbar, es wurden keinerlei chemische Zusätze für den Brand- oder Insektenschutz beigegeben und wir haben mit dem Seegras einen Rohstoff, der uns, ähnlich dem Neptungras, in großer Menge von der Natur geschenkt wird. Im Groben zusammengefasst, wird das an den Küsten angeschwemmte Seegras aufgesammelt, gesiebt und gereinigt, zerkleinert, getrocknet, nochmals gesiebt und anschließend für den Endverbraucher verpackt. Das dann zur Verfügung stehende lose Dämmmaterial zeigt folgende durchschnittliche bautechnischen Eigenschaften auf:
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Brandklasse: B2
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Wärmeleitzahl: 0,045 W/mK
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Einbaurohdichte: 70-80 kg/m3
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Spezifische Wärmekapazität: 2,0 kJ/KgK
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Wasserdampfdiffusions-Widerstandzahl: 1-2 µ
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Normalfeuchte: 15%
Im Rahmen des von der EU geförderten Projektes Life-Umwelt („Nachhaltige Entwicklung von Küstenregionen Europas und Schaffung eines regionalen Kreislaufes unter Einbeziehung des integrierten Umweltschutzes“) wurde im Jahr 2003 in Grundshagen zur Demonstration eine Aufbereitungsanlage für Seegras in Betrieb genommen und damit auch unterschiedliche Produkte aus lang- und kurzfasrigem Seegras hergestellt. Die Aufbereitungsanlage (Anlagenkosten ca. 450.000 Euro) war in der Lage, binnen einer Stunde 3t Seegras aufzubereiten (entsanden, trocknen und zerkleinern), was einem Auswurfsvolumen (Trockenmaterial) von etwa 10m3 pro Tag bei normalen Betriebszeiten entsprach. An der Anlage arbeiteten drei Mitarbeiter.
Einer etwas später erstellten Marktstudie ist zu entnehmen, dass in den ersten zwei Jahren der Produktion ca. 21 Tonnen Trockenmasse als loser Dämmstoff hergestellt und verbaut wurden. Insgesamt wurden über diese Zeit und über alle Produktvarianten an die 40t Seegras in aufbereiteter Form in den Markt geführt. Da jedoch die Betriebskosten nicht optimal reduziert werden konnten, vermutlich auch Investoren für einen weiteren Ausbau der Produktionsstätte fehlten, wurde die Produktion, trotz der mittlerweile auch vorhandenen europäischen technischen Zulassung, als Dämmstoff (ETA-05/0008) wieder eingestellt.
Seit diesem Jahr hat ein deutscher Händler in dem in Schleswig-Holstein gelegenen Westerau, den Handel mit Seegras als Dämmstoff wiederbelebt. Er bezieht hierzu den Rohstoff zwar noch aus Dänemark und hat noch keine bautechnische Zulassung für das Produkt, ist aber sehr aktiv und bemüht all die Grundlagen für eine erfolgreiche Wiedereinführung zu schaffen. So kann man davon ausgehen, dass das Seegras in absehbarer Zeit auch wieder als zugelassener Einblasdämmstoff am deutschen Baustoffmarkt zu haben ist. Bis dahin bietet der Händler das Seegras als Schütt- und Stopfdämmstoff an. Sprich offene Räume, wie die oberste Geschoßdecke, offene Holzbalkendecken oder auch Fugen und Ritzen, wie sie beispielsweise hinter Türzargen oder zwischen Fenster und Mauerwerk, vorhanden sind, sind damit vorzüglich, auch in Eigenregie, zu dämmen.
Lesen Sie die ganze Dokumentation zur Herstellung und Verarbeitung vom Dämmstoff aus Seegras, die ich im Jahr 2006 bis 2008 erstellte, im Buch „Natürliche und pflanzliche Baustoffe“.
Natürlich stehe ich Ihnen auch gerne für Ihr Bauvorhaben als neutraler Bausachverständiger zur Verfügung, der neben der neutralen Begutachtung von Bauschäden und Baumängeln natürlich auch Bau- und Saniervorschläge für Ihr individuelles Bauvorhaben erstellt.