Als Sachverständiger wundert man sich oft wie so manch Kollege seiner Arbeit nachgeht, welch Einschätzungen zu Papier gegeben werden und manchmal auch wie weit weg von der Realität begutachtet wird. Manchmal, wie geschrieben, die meisten Kollegen sind ja durchaus perfekte und ehrenwerte Fachleute.
Die Tage begutachtete ich zum Beispiel ein Gebäude bzw. deren Dachfenster. Ein paar Wochen zuvor wurde vom Pächter ein Gutachterkollege dort hin geschickt, der die Fenster wohl auch begutachtet hat. Dieser fand keinerlei Beanstandung. Technisch alles in Ordnung keine Mängel ersichtlich, hieß es da.
Als ich, beauftragt ein Beweissicherungsgutachten zum Zustand dieser Dachfenster zu erstellen, vor Ort vor den Fenstern auf dem Dach stand, staunte ich nicht schlecht.
Die Holzfenster waren durch langzeitige Feuchteeinwirkung dermaßen verzogen, dass man durch offene Fugen „spucken“ konnte. Die Fensterdichtungen waren zum Großteil herausgebrochen und steinhart, da die Weichmacher ausdünsteten und die ehemals elastischen Dichtungen zu porösem Abfall wandelten. Schäden die einfach durch Alterung entstanden waren. Kein Wunder, die Dachfenster sind – wie alle Dachfenster – seit vielen Jahren direkter Sonneneinstrahlung ausgesetzt, irgendwann wird eben auch der beste Gummi mal hart. Sind die Gummis hart und undicht, läuft Niederschlagswasser hindurch und dieses wiederum sorgt dafür, dass auch das Holz irgendwann angegriffen wird, was hier sehr deutlich schon vorangeschritten war. Ich war also unheimlich erstaunt, dass ein Kollege, hier ein öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständige, solch einen Mist beurteilt hat, denn funktionstüchtig war hier lediglich die Funktion zum Fensteröffnen. Schließen kann man nicht wirklich schreiben, denn auch geschlossen muss z.B. Niederschlagswasser hineingetröpfelt sein, wie ich durch eine durchgeführte künstliche Beregnung leicht nachweisen konnte. Zu diesem waren deutlichst Wasserflecken erkennbar die aufzeigten, dass Wasser von den Fenstern in Richtung Erdmittelpunkt lief und das nicht seit gestern sondern schon einige Monate, wenn nicht Jahre.
Aber wie kommt es eigentlich zu solchen Fehleinschätzungen von Kollegen, die sich aufgrund überdurchschnittlicher Fachkenntnisse und praktischer Erfahrung im Fachgebiet als Gutachter qualifizieren.
Sind es Gefallensgutachten, also Gutachten die nicht neutral sondern zu Gunsten eines Klienten erstellt wurden?
Dürfte nicht sein, da man sich ja durchaus, neben dem Eid bei den öffentlich bestellten und vereidigten Kollegen, auch als verbandsgeprüfter oder freier Sachverständige im Gutachtervertrag der Unparteilichkeit und Unabhängigkeit verpflichtet (verpflichten sollte). Also die Neutralität vertraglich festlegt.
Aber was ist es dann?
Eine mögliche Erklärung, klingt so paradox wie sie wahr ist. Es könnte sein, dass sich der Gutachter in der zu begutachteten Sache überhaupt gar nicht auskennt. Keine Ahnung hat, von dem was er da begutachtet. Obwohl er seinen Schwerpunkt deutlich nennt, obwohl er in diesem außerordentliche Erfahrung hat. Schwerpunkte eines Sachverständigen, wie sie z.B. in der JVEG (Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetz) genannt sind, können zum Beispiel Altbausanierung, Maschinen & Anlagen, Sanitärtechnik, Stahlbau, Straßenbau u.s.w. sein. Doch diese Begriffe sind weit dehnbar. Betitelt der eine eine neue Wärmedämmung als Altbausanierung, ist das für den anderen der Austausch der Heizanlage inkl. aller Stränge. Jedoch kann der Fachmann für die Heizung i.d.R. keine Wärmedämmung sanieren und der Fachmann für die Fassade keine neue Heizung installieren. Hier obliegt es dem jeweiligen Kollegen, vor seinem Kunden oder auch in der Werbung genauer zu definieren was er den nun wirklich macht und kann.
Ähnliches und auch tatsächlich erst kürzlich wahrgenommen:
Die Prüfung von Bauwerken inkl. Bauüberwachung denkt man eigentlich und mit gesundem Menschenverstand einem Bautechniker oder Bauingenieur zu. Ergo jemanden, der Ahnung von Gebäuden haben sollte – auch in technischer Hinsicht. Aber auch hier tummeln sich „Gutachter“ auf dem Markt, die im Grunde vielleicht gerade einmal eine kaufmännische Ausbildung genossen haben und weil sie seit ein paar Jahren Immobilien verkaufen, irgendwie vielleicht eine Gutachterprüfung (bei geprüften Gutachtern geht es hierbei ganz grob nur um das „Wie erstellt man ein Gutachten“ – fachliche Kenntnis werden vorausgesetzt) abgelegt haben. Selbsterklärend, dass ein solcher „Gutachter“ eigentlich so gar nicht für eine Bauleitung, Bauabnahme, Bauprüfung oder zur allgemeinen Beurteilung etwaiger handwerklicher Leistungen zu gebrauchen ist.
By the way, selbst so manch Architekt ist nicht in der Lage handwerkliche Leistungen fachgerecht einzuschätzen, denn Handwerk muss man schon auch einmal ausgeführt haben um es tatsächlich beurteilen zu können.
Aber weiter mit Beispielen. Die Tage fand ich im Internet ungefähr folgende Fragestellung eines, wie sich später herausstellte, öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen:
„Ich muss ein Gutachten über xxx Fenster erstellen. Thema sind gebogene Profile und Blendrahmen und die damit verbundenen Probleme. Wer hat damit Erfahrung oder weitere Information?“
Ich las das und musste erst mal schmunzeln. Mein Gedanke, zu dem ich parallel sofort an die vor kurzen begutachteten Fenster dachte: „Ein Gutachter fragt nach Erfahrung und Information zu einer Sache, die er als Spezialist begutachten und damit im Grunde auch wirklich wissen sollte! Ja was ist denn das!“
Ich stellte die möglicherweise leicht reizende Frage, ob denn hier ein Sachverständiger mit Sachverstand oder ein Laie zur Informationsanfrage dahinter steckt.
Prompt bekam ich eine sehr deutliche Rückmeldung und zwar ungefähr in diesem Ton:
“Sie können mir als vereidigtem Sachverständigen einen gewissen Sachverstand schon zutrauen!“
Ein Lachen dröhnte durch mein Büro, als ein anderer Kollege das auch noch las. Ich wollte damit den wahrscheinlich, oder vielleicht auch sicher ehrenhaften Kollegen wirklich nicht beleidigen aber die Sache kam mir auch weiterhin sehr seltsam vor. Schlussendlich herrscht in meinem Büro die klare Richtlinie, was man weiß wird beraten oder begutachten, was man nicht wissen kann bzw. weiß, davon lässt man die Finger und verweist an Kollegen die diesen Schwerpunkt haben.
Ich versuchte also kurz und knapp zu erklären warum ich eigentlich diese Frage nach der Fachkompetenz gestellt habe. Zum einen um deutlich zu machen, was er da eigentlich von sich gelassen hat, zum anderen natürlich auch um eine mögliche Antwort zu dem „Wie kommt es dazu“ zu erhalten.
Die Antwort lautete ungefähr folgendermaßen:
„Als öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständige für das Metallbauhandwerk bin ich auch für Kunststoff-Fenster zuständig.“
Wie bitte? Ich bin zuständig aber eigentlich habe ich keine Ahnung? So oder so ähnlich könnte man die verbalen Einwürfe des Kollegen wohl im Gesamten werten. Ein Metallbauer, der die Arbeit von einem Fensterbauer beurteilt. Das könnte schon sein, denn es gibt auch Metallbauer die Fenster bauen. Aber nach weiterer Recherche stellte sich auch noch heraus, dass der Metallbaubetrieb, den dieser Sachverständigenkollege schon länger führt, überhaupt keine Fenster herstellt, ja mit Fenstern gar nichts zu tun hat. Er begutachtete tatsächlich eine handwerkliche Ausführung bzw. ein Bauelement, das mit seiner Tätigkeit nichts gemein hat und das nur, weil es eben nach Kammerlinie in seinen Bereich fällt. Das ist so als wenn ich, als Stuckateur und Bauingenieur, die Arbeit eines Anlagenelektrikers in einer Industrieanlage beurteile, weil der ja auch in einem Gebäude arbeitet, das dem Hochbau zuzuordnen ist, meinem Studiengebiet also. Nur habe ich von Anlagenelektronik noch weniger Ahnung als vom Kuchenbacken. Demnach sollte ich vielleicht auch mal Schwarzwälder Kirschtorten begutachten, weil … ja warum eigentlich… vielleicht weil ich diesen gerne esse und somit recht genau weiß wie sie schmecken muss?
Nein, keine Angst liebe Konditoren, ich werde mich ganz sicher nicht in Euer ehrenwertes Handwerk einmischen, mir anmaßen Eure Arbeit juristisch nutzbar zu bewerten. Ich bleibe in meinem Fachgebiet, in dem, in dem ich seit fast 30 Jahren arbeite aber zumindest habe ich nun eine mögliche Antwort auf die ab und an auftretenden Fehlberatungen und Fehlgutachten von Sachverständigenkollegen.