(Der nachfolgende Text ist ein kleiner Ausschnitt aus der umfassenden Abhandlung zu Schilf, Reet und Schilfdämmung von Ing. Gerhard Holzmann in seinem Fach- und Studienbuch „Natürliche und pflanzliche Baustoffe“- 2. Auflage, Springer Vieweg Verlag)
Das typische und traditionelle norddeutsche Reetdach ist ein steiles, ganzeinheitlich, tief herabragendes und mit großem Dachüberstand aufgebautes Walmdach, wobei auch Satteldächer mit steilen Giebeln (Giebelflächenneigung ca. 80°) und Krüppelwalmdächer sowie Zelt-, Pult-, Säge- und Mansarddächer gebaut wurden und werden. Die Regeldachneigung für Reetdeckungen beträgt 45° und darf auch mit regensichernden Zusatzmaßnahmen nicht unterschritten werden. Grundsätzlich gilt, je steiler ein Reetdach, desto haltbarer ist es auch. Im Rahmen der gewünschten Dachneigung spielt auch die Halmneigung eine wichtige Rolle. Bei einer Eindeckstärke von 35 bis 40 cm und einer nötigen Dachneigung von 45° beträgt die Halmneigung zwischen 30 und 35°.
Einer der wichtigsten Punkte, der immer mal wieder falsch ausgeführt wird, ist die ausreichende Hinterlüftung der Dachhaut. Das Reet beim Reetdach kann aufgrund dieser nötigen Hinterlüftung keinesfalls als Wärmedämmstoff betrachtet werden, d.h. um den Vorgaben der Energieeinsparverordnung (EnEV) zu genügen, muss unterhalb der Hinterlüftungszone eine diffusionsoffene Unterspannbahn und eine wärmedämmende Maßnahme ergriffen werden, welche von der Dachinnenseite durch eine Dampfsperre gegen die Raumluftfeuchte abgesperrt wird. Als Alternative wäre u. U. auch die Dämmung der obersten Geschossdecke ausreichend.
In Bezug auf die Rohrbefestigung wird allgemein zwischen dem gebundenen, dem genähten und dem geschraubten Dach unterschieden. Die in Deutschland am häufigsten angewandte Befestigungstechnik ist heute das geschraubte Reetdach.
Bei allen Befestigungsverfahren ist in einer glatten Fläche von der Traufe zum First zu decken, wobei die einzelnen Lagen waagerecht durchgehend aufzubringen sind. Auf der Lattung wird eine ca. 30 mm dicke Reetschicht als Vorlage (Streuschicht) gelegt, welche verhindern soll, dass die Spitzen der Deckbunde beim Einklopfen mit dem Klopfbrett unter die Latten getrieben werden. Die exakte Dicke der Streuschicht richtet sich nach den Längen des verwendeten Reets. Die Bindung, welche fest an der Lattung liegen muss, muss je nach gewählter Befestigung und Deckungsart möglichst in der Mitte der Halmlänge in Abständen bis max. 25 cm erfolgen, wobei sie bei steileren Dächern mit geringeren Abständen gebunden werden muss. Die Dachdeckerregeln des Deutschen Dachdeckerhandwerks geben hier als Beispiel bei einer 60° Dachneigung einen max. Abstand von 20 cm vor. Die Neigung der Gebinde unterhalb der Bindung darf um ca. 15° geringer als die Dachneigung an sich sein. Die Dicke der Reetdeckung muss in der Fläche rechtwinklig zur Dachoberfläche mind. 30 cm betragen. Das Reet wird in Längsrichtung von der Traufe zum First mit den Schnittstoppeln zur Traufe verlegt. Die rechts und links an den Anschlüssen befindliche Decklage muss so angelegt werden, dass deren Stoppel den Überstand bilden.
Allgemein stellen Dacheinbauteile eine funktionale Ergänzung der Dachdeckung dar. Anschlüsse an Dachdurchdringungen können handwerklich hergestellt oder mit industriell vorgefertigten Bauteilen erstellt werden. Durchdringungsanschlüsse bis zu einem Durchmesser von 15 cm werden zwischen Mitte und oberem Drittel der Deckschicht eingebunden und allseitig mind. 25 cm überdeckt. Größere Durchdringungen oder auch Dachsystemteile, wie z.B. Dachflächenfenster, werden ebenfalls zwischen Mitte und oberem Drittel der Deckschicht eingebunden, wobei bei firstseitigem Anschluss mit einer Überdeckung des Reets auf den Anschluss von mind. 25 cm gearbeitet werden muss. Die seitlichen Anschlüsse werden mind. 15 cm überdeckt. Durchdringungen sollten allgemein mind. 1 m von Kehlen, Gauben oder Graten entfernt sein. Bei der Planung der Kamine müssen die jeweiligen bauaufsichtlichen Bestimmungen (Bauordnungen) berücksichtigt werden. Der Anschluss am Kamin sollte mittels Unterschneidung des Kaminmauerwerks hergestellt werden. Ist dies nicht möglich, erfolgt der Anschluss als seitlicher Wandanschluss und für trauf- und firstseitigem Anschluss gemäß der „Fachregel für Metallarbeiten im Dachdeckerhandwerk“.
Besondere Detaillösung verlangt beim Rohrdach vor allem die Firstausbildung ab. Was ursprünglich die regionale Besonderheit war, ist heute stark an gesetzliche Vorschriften gebunden, die regional sehr unterschiedlich und der jeweiligen Bauordnung zu entnehmen sind. Die häufigsten traditionellen Firstausbildungen, neben den modernen Kupferblechfirsten, sind:
-
- Rohr- oder Reetfirste
-
- Strohwulstfirste
-
- Rollfirste
-
- Sodenfirste
- Heidefirste
Bei Reetdeckungen sollte die sichtbare Traufdicke allgemein mind. 30 cm betragen. An der ersten Dachlatte muss die Dicke der Dachfläche, im 90° Winkel gemessen, mind. 35 bis 40 cm betragen. Der Traufüberstand, gemessen vom Mauerwerk oder Gesims, muss mind. 15, besser 30 cm betragen. Es wird empfohlen, die Traufe aus zwei Lagen zu erarbeiten, wobei der Abstand vom Auflagerpunkt zur ersten Lattung ca. 20 cm betragen sollte. Der Abstand von der ersten zur zweiten Lattung sollte ebenso 20 cm betragen. Die Traufe kann waagerecht oder im Winkel bis 85° zur Dachfläche hergestellt werden. Die Auflagerkante der Reetdeckung an der Traufe sollte gegenüber der Dachlattenebene 5 bis 7 cm, rechtwinklig gemessen, herausgehoben sein. Hierdurch ergibt sich Lage für Lage die erforderliche Spannung und Durchbiegung der Reethalme.
In vielen Küstenregionen ist es nicht nur üblich, sondern auch notwendig, ein Ortgangbrett (Windbrett) anzubringen. Dieses wird i.d.R. noch vor der Dachlattung angebracht. In traditioneller Bauweise wird jede dritte oder vierte Dachlatte durch das Ortgangbrett geführt und außenseitig mit Hölzern verkeilt. Bei einer Ausführung ohne Kniep, sollen die Halme etwa 5° zum Ortgang geneigt, eingebaut werden. Lässt es die regionale Witterung zu, wird der Ortgang auch oft mit Schilfschoben als Kniep, welche schräg (45°) in die Enden der Bandstöcke gesteckt und mit doppelter Drahtbindung befestigt werden, aufgebaut. Bei einem Dach mit Krüppelwalm sollen die Halme am Ortgang parallel zum Gradsparren liegen. Der Überstand der Reetdeckung am Ortgang beträgt allgemein ca. 15 bis 25 cm.
Laut den Dachdeckerregeln des Zentralverbandes des Deutschen Dachdeckerhandwerkes, sind die Halme an den Graten in Richtung des Gratsparrens zu decken und allmählich in normale Richtung zu bringen. Die Gratkante wird leicht gerundet, wobei die Mindestdicke der Reetdeckung gewährleistet sein muss. Die Kehle liegt immer horizontaler als die Dachflächen, die sie verbinden und leiten daher immer ein Übermaß an Niederschlagswasser ab, was sie zu einer Schwachstelle des Daches degradiert. Die durchschnittliche Haltbarkeit beträgt aus diesem Grunde nur ca. 7 Jahre. Kehlen sind beim Reetdach grundsätzlich so auszuführen, dass die Decklagen in diesem Bereich immer durchgehend gedeckt sind. Die Dicke der Deckung muss hier in etwa das 1,5-fache der Dachflächendeckung betragen. Eine Kehlsparrenneigung von 40° sollte hierbei nicht unterschritten werden. Auch Kehlen sind grundsätzlich ausgerundet zu decken und können durch Einbringung einer zusätzlichen Querlattung auch breiter gestaltet werden. Die sogenannte untergelegte Kehle wird ausgeführt, wenn die Reetdeckung im Kehlbereich an eine andersartig gedeckte Dachfläche anschließt. Hier schließt die Reetdeckung an der Kehle analog der Ortgangdeckung an und muss mind. 15 cm, rechtwinklig zur Kehllinie gemessen, überdeckt werden. Die untergelegte Kehle muss bis auf die Auflagekante (Kniep) heraufgeführt werden. Es gelten bei dieser Kehlausbildung die jeweils gültigen Fachregeln, wie z.B. die „Fachregel für Metallarbeiten im Dachdeckerhandwerk“ zu beachten.
Beim Bau von Dachgauben muss darauf geachtet werden, dass deren Dachneigung mind. 40° beträgt. Dies kann durch niedrige Fenster und hoch angeordnete Wechsel i.d.R. leicht erreicht werden, wobei die Dachfläche der Gaube deutlich unterhalb des Firstbereiches in die Dachfläche einlaufen soll. Die untere Kante der Gaubenfensterzarge sollte ca. 20 bis 25 cm höher als die Dachlattenoberkante (Lattenflucht) angeordnet werden, um beim Decken das Rohr unter die Fensterzarge schieben zu können. Auf dem oberen Wechsel und der Fensterzarge werden die Gaubensparren nach oben verjüngt, zusammenlaufend befestigt. Durch die Verjüngung der Gaubensparren fügt sich nach der Deckung die Gaubendachfläche optisch besser in die gesamte Dachfläche ein. Anschlüsse der Reetdachdeckung an Dachgauben sind i.d.R. auch auszurunden. Es gilt, die Gaubensparren unter dem Firstscheitelpunkt in die Dachfläche einzubinden, so das die letzten drei Dachlatten nicht unterbrochen werden. Die Gaubenkonstruktionen müssen von Kehlen, Graten, Ortgängen oder anderen Dachgauben so weit entfernt sein, dass die Gaubendeckung mit einem Abstand von mind. 100 cm in die Dachflächendeckung einbindet. Vor den Dachgauben am traufseitigen Anschluss, ist die letzte, kürzere Decklage mit offener Bindung zu befestigen. Dabei soll der Zwischenraum zwischen den Dachlatten und der unteren Kante des Gaubenrahmens, der um ca. 10 cm verringerten Dicke der Reetdeckung, entsprechen. Die Ausführung der Abdeckung des Anschlusses ist unterschiedlich und kann beispielsweise mit einem Tropfbrett, einer Heidefirstabdeckung oder einem Rohrfirst etc., erstellt werden.
Dachfenster werden in aller Regel in Dachgauben verbaut (stehende Fenster), wobei aus technischer Sicht auch der Einbau von liegenden Fenstern möglich wäre. Allgemein wird jedoch dem liegenden Fenster bei Reetdächern ablehnend begegnet, was aus Sicht der Dachharmonie und der weit anspruchsvolleren Ausführungsmethodik durchaus nachvollziehbar ist.
Abschließend einfach noch ein paar Bilder und somit auch weiteren Einblick in das Dachreet. Einige dieser Häuser wurden durch das Sachverständigenbüro Holzmann-Bauberatung® gutachterlich untersucht (Urhebergeschützte Bilder, Kopien nicht gestattet):
Dies war eine kleine Zusammenfassung zum Reetdach. Um eine Vielfaches ausführlicher werden Sie das Reet bzw. Schilf für das Bauwesen in der zweiten, erweiterten Auflage von „Natürliche und pflanzliche Baustoffe“ kennenlernen. Hier werden Sie mehr als 15 Jahre intensivste Erfahrung und Rechereche zu diesem Baustoff von mir erlesen können und somit erfahren, wozu man das Süßgras Schilf alles nutzen kann und durchaus auch nutzt. Das Reetdach, so viel sei verraten, ist nur ein kleiner Bruchteil des „Ressourcenkuchens“, den die Phragmites australis uns allen anbietet. 😉
Mehr Information zum Buch „Natürliche und pflanzliche Baustoffe“ finden Sie hier:
>Natürliche und pflanzliche Baustoffe<
Auf das Reetdach bezogen sind u.a. folgende Informationen und Vorgaben (z.T. Quellangaben zum gehabten Text) zu beachten, bzw. zur Beachtung zu empfehlen:
-
-
DIN 1055 (Lastenannahmen für Bauten)
-
-
-
DIN 4102 (Brandverhalten von Baustoffen und Bauteilen)
-
-
-
DIN 4108 (Wärmeschutz im Hochbau)
-
-
-
DIN 4109 (Schallschutz im Hochbau)
-
-
-
DIN 18160 (Hausschornsteine)
-
-
-
DIN 18338 (Dachdeckungs- und Dachdichtungsarbeiten)
-
-
-
DIN 18384 (Blitzschutzanlagen)
-
-
-
DIN 68800 (Holzschutz im Hochbau)
-
-
-
VDE-Vorschriften
-
-
-
Fachregeln für Dachdeckungen mit Reet vom Zentralverband des Deutschen Dachdeckerhandwerks
-
-
-
Fachregel für Metallarbeiten im Dachdeckerhandwerk vom Zentralverband des Deutschen Dachdeckerhandwerks
-
-
-
Unfallverhütungsvorschriften
-
-
-
Allgemeine Feuerversicherungsbedingungen
-
-
-
VOB
-
-
-
Bauaufsichtliche Vorschriften
-
-
-
Landesbauordnungen
-
-
-
Städte-, Kreis- und Gemeindeverordnungen oder – satzungen
-
Auflagen des Denkmalschutzes
-
Das sind nun viele Normen und Vorschriften aber auch alle direkt oder indirekt relevant. Für Fragen und auch für Begutachtungen zum Reetdach und natürlich auch zu Wärmedämmmaßnahmen mit Schilfdämmplatten stehe ich Ihnen als geprüfter und DEKRA-zertifizierter Bausachverständiger selbstverständlich gerne und auch international zur Verfügung.