Eigentlich möchte man grundsätzlich keine Pilze an Gebäudeteilen, weder an Innenwänden, noch in der Dach- oder Fassadendämmung. Denn viele der Pilzkulturen sind hierbei Schimmelpilzarten, deren Sporen gesundheitsschädlich sind. Sie wirken reizend, allergen oder toxisch auf den menschlichen Körper, teilweise gelten sie gar als Krebs erregend. So sind mitunter Nierenschäden, Lungenblutungen, Leberschäden oder allgemein Lungen- und Atemwegserkrankungen als Krankheitsbilder, verursacht durch die Sporen diverse Aspergillusarten, keine Seltenheit mehr. Es verwundert also nicht wirklich, wenn man Pilzkulturen im oder am Haus möglichst schnell beseitigen möchte. Auf die Idee Pilze bewusst in die Konstruktion einbauen zu lassen, käme wohl gegenwärtig kaum ein Bauherr, geschweige denn ein Planer oder Handwerker. Zumindest nicht, bis vor ein paar Monaten, denn das könnte sich bald ändern.
Der US-Amerikaner Eben Bayer erkannte, dass manche Pilze eine äußerst interessante Struktur im Inneren aufweisen. Schaumig und leicht, Eigenschaften die eigentlich ideal für einen Dämmstoff oder auch Verpackungen wären. Er experimentierte 4 Jahre lang mit diesen eukaryotischen Lebewesen bis er einen Weg gefunden hat, aus Getreideabfällen, die er mit Pilzen infizierte, ein Produkt herzustellen, das fast ein bisschen nach „Styropor“ aussieht.
Herstellen ist hierbei jedoch ein völlig falsches Wort. Er stellt nicht her, er lässt das Produkt wachsen. Produziert also mit einem wachsenden Organismus, dem Pilz und Abfällen aus Landwirtschaft (Samenschalen von z.B. Reis, Weizen oder auch Baumwolle) einen kunstschaumähnlichen Stoff. Der Clou an dieser Sache ist, dass er das Substrat in Formen wachsen lässt und somit tatsächlich eine Vielzahl unterschiedlicher Gegenstände herstellen kann. Von der passgenauen Verpackung für unterschiedliche Produkte bis hin zur Dämmplatte für die Gebäudedämmung. Das alles ohne auch nur einen Tropfen Erdöl oder gar etwaige Chemikalien in das Produkt zu binden. Ergo ein 100%iges Naturprodukt, das ohne Weiteres auf dem heimischen Kompost oder der braunen Tonne für Kompostabfälle entsorgt werden kann.
Das Pilzprodukt selbst, ist im nutzungsfähigen Zustand nicht mehr lebensfähig und gibt somit auch keine Sporen oder andere Allergene an die Umgebung ab. Um den Wachstumsprozess des Biomaterials nach der „Produktion“ zu stoppen, wird dem Material durch Erhitzung auf ca. 43 °C das Wasser entzogen. Auch hierbei wird umweltbewusst gehandelt, denn die hierfür benötigte Energie wird aus Niedrigenergiequellen durch Zwangskonvektion oder Solartechnik gewonnen.
Ebenso werden, im Gegensatz zu vielen anderen Stoffen im Bauwesen, keinerlei flüchtigen organischen Verbindungen (VOC) aus dem Dämmstoff freigesetzt. Kurzum die Dämmplatte aus dem Pilz ist nicht nur umweltfreundlich in der Produktion, aus ihr resultieren auch keinerlei gesundheitlichen Gefahren für Mensch und Tier.
Die Wärmedämmplatte mit dem bezeichnenden Namen Greensulate™ kann für alle Dämmvorhaben außerhalb des erdberührten Bereiches verwendet werden. So kann man Dachflächen, Fassaden oder auch Böden und Decken damit dämmen. Da die Dämmplatten in Formen wachsen, ist es auch möglich, selbige auf Maß wachsen zu lassen, wobei auch der Zuschnitt direkt im Zuge der Montage einfach möglich ist und keinerlei Spezialwerkzeug benötigt (ein gewöhnliches Dämmmesser reicht). Die Dichte des Materials wird durch Art und Menge der Pilznahrung (den Getreideabfälle) bestimmt. So liegt sie zwischen 48 kg/m³ und 176 kg/m³. Zum Vergleich; extrudierter Polystyrolhartschaum (XPS) liegt bei ca. 25-45 kg/m³ und expandierter Polystyrolpartikelschaum (EPS) bei ca. 10- 35 kg/m³. Rein vom Gewicht ist somit in leichtester Ausführung nur wenig Unterschied zu seinem Pendant aus dem Reagenzglas.
Greensulate™ ist eine klasse Produktidee, die sich zwar im Moment noch in der Entwicklungsphase befindet, aber schon jetzt aufzeigt, welche Möglichkeiten wir im Bereich der Dämmstoffe noch haben. Denkt man die Grundidee dieser Dämmplatte ein, zwei Schritte weiter, so könnte man sich auch vorstellen, das Pilzsubstrat direkt in der Baukonstruktion wachsen zu lassen. Stellen Sie sich nur vor, man streicht in der Rohbauphase Bauplatten mit einem Brei aus Pilzkultur und Getreideabfällen an und hat pünktlich zur Schlüsselübergabe vollständig gedämmte Hohlräume in Wänden, Decken und Fußböden. Montage- und Materialkosten für die Dämmung des gesamten Hauses sind dann womöglich günstiger, als der Wasserhahn im Badezimmer. Abfälle düngen die Rosen im Garten und Wärmebrücken durch etwaige Befestigungsmittel oder gar ungedämmte Hohlräume könnten dann bald Geschichte sein.
Da man als Sachverständiger solch Produkte immer genauer sehen und auch testen möchte, habe ich selbst diverse Versuche mit dem Dämmstoff durchgeführt. Mitunter habe ich hierzu Produktproben in unterschiedlichen, real auffindbaren Klimabereichen über einem Zeitraum von ca. 1 Jahr ungeschützt gelagert. Ich wollte wissen, ob denn tatsächlich kein Pilzwachstum mehr stattfindet. Das Resultat war durchweg positiv. Egal ob in warmer, feuchter Umgebung oder in kühlerem Raumklima, es konnten weder Pilzwachstum, noch haptisch oder visuell erkennbare Veränderungen festgestellt werden. Somit kann man durchaus schreiben, dass dieses Produkt auch in unseren Klimaverhältnissen einsetzbar wäre, wenn es denn auch in Deutschland angeboten werden würde. Dies ist jedoch nach Angaben des Unternehmens bis dato noch nicht absehbar bzw. geplant.
Update (29.10.16) – Ein Blick auf die Pilz-Dämmplatte nach 4 Jahren
Nahezu exakt 4 Jahre, nachdem ich die ersten Versuche mit den „Pilz-Dämmplatten“ machte und diesen Text erstellte (Erstellungsdatum war der 21. November 2012), sehe ich mir die im trockenen und warmen Nebenraum (seit 4 Jahren) lagernden Dämmplatten erneut an. Die anfängliche Freude über die Beschaffenheit und das Verhalten in diversen Belastungssituationen verflog dabei recht schnell, denn die Platten wirken weit weniger stabil als zu Beginn. Neben diesem erweckt die Oberfläche und eine frische Bruchkante den Eindruck, als ob der oder ein anderer Pilz auf dem Produkt wächst. Die Platten selbst sind deutlich dunkler geworden. Es scheint sich demnach ein Prozess in Gang gesetzt zu haben, der die anfänglichen Eigenschaften zunichte macht. Dieser offensichtliche, durch haptische und optische Wahrnehmung beobachtete „Abbauprozess“ verdeutlicht, dass dieses Produkt so noch nicht für unsere Klimaverhältnisse nützlich sein kann. Ergo hier bedarf es weiterer Forschungsarbeit….