Australien, das Land der unbegrenzten, also wirklich unbegrenzten Möglichkeiten und das Land der Rohstoffe! Kupfer, Eisen, Uran, Zink, Blei, Erdgas, Erdöl, Mangan, Silber, Gold, Quarz, Rohsilizium und vieles mehr … alles Reichtümer Australiens, welche mehr oder weniger einfach zu bergen sind.
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Weitere InformationenAber es gibt auch Gefahren. Schlangen, Spinnen, Krokodile, Haie, tödliche Quallen und giftige Frösche. Ja selbst die Sonne kann lebensgefährlich sein, wenn der Mensch sich nicht entsprechend schützt und ausreichend Flüssigkeit zu sich nimmt. Diese Gefahren hat jeder, oder fast jeder, schon einmal irgendwo gelesen oder gehört.
Was aber in Zusammenhang mit Rohstoffen und Gefahren weit weniger bekannt ist, ist der in der Vergangenheit umfangreich vollzogene Asbest-Abbau in Australien. Neben Brasilien, Kolumbien, Kanada, Südafrika, Russland, Griechenland, Türkei und Italien u.a. finden sich auch heute noch jede Menge natürliche Asbestvorkommen in Australien.
Ein „Hotspot“, wenn man ihn so nennen mag, war beispielsweise Wittenoom, ungefähr 1.400 km nördöstlich von Perth, wo umfangreich Blauasbest abgebaut wurde. Wittenoom wurde nach Francis Frederick Burdett Wittenoom (17.12.1855-11.09.1939), einem Farmer benannt. Neben seiner Tätigkeit als Landwirt galt er auch als einer der ersten Europäer, der die Gebiete um Pilbara, Gascoyne und Murchison in Westaustralien erkundete. Der Ort selbst ist heute in keiner neueren Karte mehr verzeichnet, es gibt keine Verkehrsschilder mehr, die einen zum Ort hinführen, noch nicht mal eine geteerte Straße, aber die gab es wohl noch nie. Wer an diesen Ort in Westaustralien oder genauer in der Pilbara Region will, muss schon ein paar Kilometer Sandpiste auf sich nehmen. Er findet sich dann in einer Art Nirgendwo, nördlich des Karijini Nationalparks. Ein friedlicher Ort, voller Ruhe. Kein Strand, kein Pub und keine lustigen Souvenirs. Haie und Krokodile gibt’s hier auch nicht, Spinnen und Schlangen … naja, die sind allgegenwärtig. Wer davor Angst hat, hätte erst gar nicht in den Flieger steigen dürfen.
Wittenoom selbst wurde ungefähr ab 1947 als eine Arbeitersiedlung gegründet. Gleich um die Ecke, in der Wittenoom Gorge und in der Yampire Gorge (Gorge = Schlucht), wurde umfangreich Blauasbest gefunden und seit den 1930er Jahren abgebaut. Zwischenzeitlich war die Siedlung im Asbest-Boom um 1950 gar die größte Stadt in der Pilbara Region.
Ich selbst war übrigens im Januar 2019 dort. Als Bauingenieur mit einer großen Liebe zu Baustoffen und Australien musste ich das natürliche Vorkommen von Blauasbest direkt ansehen und gab mich nicht mit Erzählungen meines Dads (selbst Australier) zufrieden.
Zur Geschichte einer irgendwie verlorenen Stadt. Ein großer Name der Region war der Politiker und Geschäftsmann (vor allem in Bezug auf Eisenerz) Langley Frederick George „Lang“ Hancock (10.06.1909 – 27.03.1992), der übrigens auch dafür sorgte, dass der Ort nach seinem Geschäftspartner und Freund benannt wurde. Hancock nutzte die Chance und den gefragten Stoff Asbest, der im 2. Weltkrieg für Panzer, Flugzeuge, Schlachtschiffe, Helme, Gasmasken etc. benötigt wurde, verhandelte mit den Briten und den US-Amerikanern und machte sodann gute Geschäfte mit selbigen. Später so um 1943 wurde die Mine in der Yampire Gorge an die CSR Limited-Tochtergesellschaft Australian Blue Asbestos Pty Ltd verkauft, bei der Hancock wiederum bis 1948 als Manager tätig war.
1946 wurde die Mine in der Yampire Gorge geschlossen und die Mine in der Wittenoom Gorge eröffnet. In der Zeit zwischen 1943 und 1966 wurden rund 161.000 Tonnen Asbest in der Wittenoom Gorge abgebaut. Von 1950 bis Anfang der 1960er Jahre war Wittenoom der einzige Asbestabbauort von Australien. Wittenoom mitten im Bezirk Pilbara war so in ganz Australien, wohl auch darüber hinaus bekannt.
Irgendwann um 1960 war die Mine nicht mehr wirklich rentabel und wurde im Jahr 1966 sodann auch endgültig geschlossen. Zum Zeitpunkt als die Mine geschlossen wurde, betrug deren Verschuldung rund 2,5 Millionen US-Dollar. Die Mine war also schlicht pleite. Da um diese Zeit auch immer mehr bekannt wurde, dass Asbest mit Blick auf die Gesundheit nicht wirklich vorteilig ist, wurde schlussendlich auch der Ort als Wohnsiedlung aufgegeben. Ab ca. 1970 zogen sich die Bewohner aus Wittenoom zurück. Blickt man heute, fast 50 Jahre später in den Ort, so könnte man meinen, dass dieses Zurückziehen schlagartig geschehen ist, denn man sieht auch heute noch zurückgelassene Möbel und Geschirr in den Häusern.
Ganz so schlagartig war es aber nicht, eher zögerlich verließen viele den Ort. Manche bis sie aufgrund des Alters nicht mehr selbstständig leben konnten. In manch Lektüre ist heute noch angegeben, dass es noch einen Souvenirshop, dessen Betreiber und zwei weitere Bewohner im Ort gibt. Das ist schon länger überholt. Aktuell (1. Januar 2019) gibt es im Ort keinerlei Shop mehr, das Kaffee am Ortseingang (Doc Holidays Cafe) ist schon lange dicht, auch wenn man in den Räumlichkeiten meinen könnte, dass es erst vor ein paar Jahren schloss. Ebenfalls ist der Campingplatz und der Souveniershop Geschichte, letzterer ist offensichtlich abgebrannt. Es gibt keine drei Bewohner mehr, sondern nur noch einen älteren Herrn, der tatsächlich alleine in der Geisterstadt lebt und einfach nicht mehr weg will, weil es eben seine Heimat ist. Ich kann es verstehen und viele von Ihnen wohl auch. Wer will schon gerne sein Zuhause verlassen? Bei meinem Besuch traf ich noch ein weiteres Ehepaar, das hier wohl ein Haus vererbt bekommen hat und nur da war, um nach dem Rechten zu sehen. Ansonsten ist die ehemals größte Stadt der Region verlassen und leer, eine echte Geisterstadt eben. Gruslig, wenn man bedenkt, dass gleich um die Ecke ca. 7.000 Menschen Asbest abgebaut haben und in der Stadt einmal 1.000 Menschen fest angesiedelt waren. Das sind eine ganze Menge Menschen für ein „Kaff“ im nirgendwo, auch wenn das Drumherum, der Bush und die Berge wirklich schön anzusehen sind. Obacht Alpenländer, diese Berge sind aus Eurer Sicht nur Hügel 😉
Das Zurückziehen ist der Westaustralischen Regierung hier und da wohl etwas zu langsam gegangen, denn am 30. Juni 2006 drehte die Regierung dann einfach mal den Strom ab, stellte sämtliche staatlichen Leistungen ein und beschloss, Wittenoom den Status als Stadt zu entziehen, was tatsächlich im Jahr 2007 geschah, im gleichen Jahr in dem auch die Postagentur geschlossen wurde. Gleich darauf begann man nach und nach die verkehrsleitenden Schilder zu entfernen und den Ort Wittenoom aus der Verkehrsführung und den Landkarten zu entfernen. Heute gibt es kein Ortsschild, keine Wegweiser und sonstige Hinweise mehr zum Ort. Auf manchen Schildern sieht man einen Ortsnamen abgeklebt, man kann erahnen, dass unter der grünen Klebefolie (die Straßenschilder sind grün) nicht Perth oder Darwin oder Broome oder sonst ein Ortsname zu finden ist, sondern eben Wittenoom.
Ich selbst muss sagen, dass sich die ehemalige Stadt bei der Anfahrt schon irgendwie heldenhaft anfühlte. Typisch, wenn man etwas Todgeschwiegenes, Sagenumwobenes, für nicht mehr existent Erklärtes vor sich hat. Man zigfach gewarnt wird, es aber trotzdem sehen, erleben und spüren muss.
Es kribbelte so ein wenig und das waren sicher nicht die mehrfach aufgestellten Warnschilder in Bezug auf den Asbest. Wittenoom, Du kleines gefährliches Biest, ich komme, ich werde Dich durchfahren, Dich erleben und anderen davon erzählen, schwemmte es durch meinen Kopf.
Ja gut, ich habe die Warnhinweise zwar fotografiert, aber nicht wirklich ernst genommen. Grundsätzlich ist Asbest ja nicht giftig, was immer mal gerne publiziert wird und ich gestehe an dieser Stelle, dass ich auch schon von giftigem Asbest geschrieben habe, auch wenn ich es nicht wörtlich meinte. Gefährlich ist einzig die Faser und diese muss erst mal aufgewirbelt werden und sodann auch eingeatmet. In einem Ort, der so lange ruht, keine Stäube vorhanden sind, weil es einfach keinerlei Bewegung gibt, keine Autos, keine Menschen, kein Wind und ich selbst auch nicht anfange mit Pickel und Schaufel zu graben, da ist die Gefahr gleich null in ein paar Dekaden an Asbestose zu erkranken. Das ist im Übrigen auch schon um 2003 und 2004 nachgewiesen worden. Die Asbestbelastung in Wittenoom ist in der Tat, wie es so schön formuliert wurde, unter der Wahrnehmungsgrenze der meisten Messgeräte. Die hauptsächliche Gefahr liegt direkt in den Schluchten, in denen der Abraum der Minen liegt. Aber auch da muss erst mal ordentlich Staub aufgewirbelt werden, bevor es gefährlich wird. Sie denken nun sicher ich ….. nein, ich war in der Schlucht, wer würde sich das nehmen lassen?
Der Weg dorthin ist recht einfach zu finden, denn es gibt eine Straße, die den Ort tangiert und eine, die irgendwo dahinter in die „Hügelkette“ führt. Da ich weder nach Tom Price noch dahin wollte, wo ich herkam, gabs also nur einen Weg. Diesen einen bin ich mit meinem Pseudofourwheeldrive entlang gefahren. Manchmal musste ich auch vom Schotterweg runter, da mehrere kleinere Bachbrücken schlicht nicht mehr da waren und der Mitsubishi Outlander keine allzu große Bodenfreiheit hatte. Mit etwas weniger Luft im Reifen geht aber Vieles, so auch das. Nach einer Weile war ich dann in der Wittenoom Gorge und sah mir die Umgebung an. Auf den ersten Blick, wie überall aber mit einem Blick auf den Boden wurde plötzlich klar, wo der Abraum, der Blauasbest lag …. Direkt unter meinen Füßen, den ganze Weg den ich gefahren bin… unscheinbar, aber da liegt er… überall. Dunkles hartes Gestein mit hell- und dunkelroten Streifen und dazwischen bläulich schimmernde Streifen, die faserartige Struktur senkrecht zu den rötlichen Streifen aufweisen. Der Blauasbest, wie er in der natürlichsten Form vorliegt.
Krokydolith (Riebeckit – aus der Gruppe der Hornblenden) oder wie ich hier immer schrieb der Blauasbest (das ist ein Synonym), gehört der Gruppe der Amphibolasbeste an. Das ist ein Mitglied der miesen Gruppe der Asbeste. Während beispielsweise die Chrysotilasbeste bzw. deren Fasern sich relativ schnell wieder aus der Lunge eliminieren, bleiben die Amphibole dauerhaft darin. Was aber nicht heißen soll, dass der eine unschädlich ist, denn auch Chrysotil kann die Lungenbläschen erreichen und dort lange Zeit im Lungengewebe verbleiben und entsprechend Schaden anrichten. Toll sind also beide nicht, nur der eine ist eben noch weniger toll als der andere. Grundsätzlich handelt es sich hierbei um Silikate oder Mangesiasilikate, die neben dem Magnesium auch Eisen, Calcium und Natrium enthalten. So wie der Blauasbest in Wittenoom zu finden ist, handelt es sich, wie visuell leicht zu erahnen, um die fasrige Art eines Riebeckits. Dies nur als ganz grobe Zusammenfassung zum Blauasbest selbst.
Warum der Boom auf dieses fasrige Mineral so derart umfangreich war, ist einfacher zu erklären als der Stoff selbst. Wir haben hier eine Faser, die eine sehr große Festigkeit besitzt und obendrein hitze- und säurebeständig ist. Das alleine machte es zur Wunderfaser. Dazu kommt, dass die Faser selbst eine hervorragende Dämmeigenschaft gegen thermische Belastung hat und sogar zu Garnen versponnen werden kann, um später gewebt zu werden. Aus heutiger Sicht mag das aufgrund der bekannten Gefahren „spooky“ klingen aber zur ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts war das eine Sensation. Und nicht nur zu jener Zeit. Die Nutzung von Asbesten als Werkstoff geht allgemein beschrieben bis ins 3. Jahrtausend vor Christus zurück. Von Theophrastos soll um 300 v. Chr. die Benutzung eines Asbestdochts in der goldenen Lampe der Göttin Athene beschrieben worden sein und Karl der Große soll seine Gäste mit nicht brennenden Tischtüchern aus Asbestfasern beeindruckt haben. Ergo, die Asbestnutzung ist keine Erfindung des 20. Jahrhunderts, damit haben schon Menschen tausende Jahre vorher experimentiert.
Die großindustrielle Nutzung begann aber erst gegen 1870 in Kanada mit dem ersten großen Abbau der dort befindlichen Asbestlagerstätten. Danach folgten Russland, Südafrika, Finnland, Italien und eben auch Australien. Aus deutscher Sicht sind wir erst um 1871 in das Asbestgeschäft richtig eingestiegen mit der zu jener Zeit startenden industriellen Verarbeitung von Asbest in Frankfurt. Wie bedeutend die Asbestindustrie auch in Deutschland wurde, ist womöglich daran zu erkennen, dass 1885 Zölle für Asbestprodukte in Deutschland eingeführt wurden. Erschreckend wirken heute die damals erreichten Werte des Asbestverbrauchs, welcher um 1977 bei sage und schreibe 250.000 Jahrestonnen gelegen haben soll. Noch erschreckender, dass der zu dieser Zeit verarbeitete Asbest in großen Mengen (man bedenke, dass das fast 30 Jahre lang zwischen 80.000 und eben diesen 250.000 Tonnen im Jahr bedeutete) noch immer irgendwo verbaut und frei bewittert wird. Also enorme Mengen nach wie vor dort sind, wo sie nicht wirklich hingehören. Aber das war natürlich nicht alles eben dieser Blauasbest aus Wittenoom, von welchem ich hier berichte. In den USA, Europa und in Deutschland wurde zu über 90 % Chrysotil und weniger als 10 % Krokydolith und mit 5- 10 % noch weniger Amosit verwendet. Ergo kaum Blauasbest (Krokydolith) in Deutschland. Ein Ende der Verwertung von Asbest in Deutschland trat sodann ab 1993 ein. Ab diesem Zeitpunkt wurde die Herstellung und Verwendung von Asbest oder Asbestprodukten bis auf sehr wenige Ausnahmen in Deutschland verboten. Ab dem 27. März 2003 trat europaweit ein Verbot zur Verwendung und Inverkehrbringen von Asbest in Kraft. Heute plagen wir uns demnach nur noch mit den Altlasten des Asbest-Booms, der eine Handvoll Menschen sehr reich machte und unstrittig eine Unmenge von Menschenleben kostete.
Dennoch ist Wittenoom, das kleine Kaff inmitten von Bushland im Herzen Westaustraliens etwas Besonderes. Man kann den Ort zwar aus den Landkarten streichen, ihn todschweigen und verkommen lassen, aber er wird wohl immer irgendwie präsent sein. Fragen Sie sich doch mal, wo das Wittenoom der Zukunft sein wird? Wir verarbeiten auch heute sehr viele kaum untersuchte Stoffe. Langzeitwirkungen von etwaigen Nanopartikel beispielsweise. Wer weiß schon, wie es den Menschen um solch Produktionsstätten in ein paar Jahren ergehen wird? Antibakterielles Lungengewebe …. Gruselig oder? Man kann diese Orte aus der Landkarte streichen, aber sie werden uns immer irgendwie erhalten bleiben, auch wenn sie tatsächlich in Zukunft ganz woanders liegen und ganz andere Stoffe betreffen. Der Drang des Menschen nach dem vollendeten Rohstoff, die Rücksichtlosigkeit im Rausch des Reichtums, der Egozentriker Mensch, man wird ihn zu Lebzeiten nicht ändern können.
Wittenoom gibt es nicht mehr. Wittenoom ist allgegenwärtig.
Text und Bilder: Gerhard Holzmann, Sachverständigenbüro Holzmann-Bauberatung® Augsburg
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