Manchmal stellt man sich die Frage, warum wohl so manch traditionelle Nutzpflanze in der Gegenwart nahezu verschwunden ist, warum man sie nicht mehr auf den Feldern sieht, warum kaum ein Mensch mehr, die ehemals als Aushängeschild ganzer Landstriche bekannte Pflanze kennt.
So ergeht es mir beispielsweise mit dem Waid (Isatis tinctoria). Ursprünglich aus Westasien kommend, war der Waid im 9. Jhd. n. Chr. eine der wichtigsten Rohstoffpflanzen in Deutschland, Frankreich und auch England. Als das „Goldene Vlies Thüringens“ betitelte man mit Waid eingefärbte Stoffe. Der aus dem Französischen kommende Begriff „Pastell“ etwa, stammt keinesfalls vom italienischen Wort „Pasta“ ab, sondern tatsächlich von der Farbe des Waids. Waid sorgte bei vielen Menschen für Wohlstand. Schrieb Geschichte in der Leinenfärberei. Ja ist gar aus der Geschichte der Textilfärberei gar nicht mehr wegzudenken.
Aber heute sieht man ihn kaum mehr. Bis auf eine Handvoll Menschen, die die Vorzüge des Waids kennen und selbigen für den Eigengebrauch im heimischen Garten kultivieren und zwei kleinen, kaum bekannten Produktionsstätten für Waidprodukte, ist die Pflanze unbekannt. Derweilen ist der Einsatzbereich der Pflanze unglaublich vielfältig. Tee, Pflegecreme, Imprägnierungen für mineralische Untergründe und biologisch unbedenklicher Holzschutz sind nur ein paar der Stichworte, die in Bezug auf die Nutzbarkeit des Waids, neben der Textilfärberei angesprochen werden können. Bei solchen Einsatzgebieten werden in heutiger Zeit vor allem synthetische Mittel genutzt. Mittel die hier und da sicherlich einen höheren Wirkungsgrad aufzeigen, aber auch Mittel, die zur Herstellung, im Einsatz und in der Entsorgung nicht selten weitreichende Umweltprobleme mit sich bringen. Unter dem Strich mehr Probleme als Wohltat bereiten.
Die Universität Bayreuth, beziehungsweise der hier vorhandene Lehrstuhl für organische Chemie stellte Anfang der 90er Jahre des letzten Jahrhunderts, die insektizide und fungizide Wirkung von isolierten Verbindungen des Färberwaids fest. So ist im Bericht zu lesen:
„… Eine dieser Verbindungen führt im Termitentest bei einer Anwendungskonzentration von 1 % zu einer 100 %igen Mortalität der Termiten, als auch deren Darmsymbionten. Für einen weiteren Naturstoff aus Isatis tinctoria kann eine sehr gute bekämpfende Wirkung auf mittelgroßen Larven des Hausbockkäfers (Hylotrupes bajulus) nachgewiesen werden …“
Neben diesem, kann man aus dem Bericht, verfasst von Dr. Karlheinz Seifert, auch ersehen, dass drei Verbindungen des Färberwaids sogar dem Kellerschwamm entgegen wirken. Dazu zeigt er zusätzlich auf, dass der Gärsaft, der fermentierte Blattmasse des Färberwaids bakterizide Wirkungen gegenüber diversen Bakterienarten, sowie wachstumsinhibitorische Wirkung gegen phytopathogene Mikroorganismen als Erreger unterschiedlicher Pilzkrankheiten im Garten- und Zierpflanzenbau aufweist. Seifert erwähnt in seinem Bericht weiterhin, dass in den Blättern des Färberwaids 44 Naturstoffe nachgewiesen werden konnten, wobei er als Verbindung mit insektizider und fungizider Wirkung vor allem Tryptanthrin, Indolyl-3-acetonitril und p-Cumarsäuremethylester hervorhebt. Später stellte das Hans Knöll Institut in Jena fest, dass bei eigenen Untersuchungen nur in wenigen Fällen p-Cumarsäuremethylester nachgewiesen werden konnte und der Gehalt an Indolyl-3-acetonitril (IAN) und Tryptanthrin im frischen Blattmaterial sehr gering sei.
Diese Schwankungen der Untersuchungsergebnisse beruhen aber auch auf den Umständen der Kultivierung und den in der Natur völlig normalen Schwankungen im Pflanzenmaterial, welche direkt von der Art der Kultivierung, dem Nährstoffgehalt des Bodens und natürlich auch von den klimatischen Bedingungen abhängen. Auch gilt hierbei zu erwähnen, dass nicht einzig die hier genannten Verbindungen für die antifungale Wirkung zuständig sind. Vielmehr wird aus wissenschaftlicher Sicht davon ausgegangen, dass synergistische Effekte verschiedener Waidinhaltsstoffe bzw. ihrer im Laufe des Prozesses der Gärsafterzeugung entstehenden Abbauprodukte, diese nützliche Wirkung hervorrufen.
So verwundert es kaum, das das Institut für Baubiologie und Ökologie in Neubeuern (IBN) 1994 in einem Gutachten feststellte, dass mit dem Waidsaft auch dem Verwittern von verputzten Flächen und dem Bewachsen von Flechten und Moosen auf selbigen Flächen entgegen gewirkt werden kann. Neben diesem, führte dieses Institut auch Versuchsreihen in Bezug auf den Einsatz als Flammschutzmittel durch. So wurden Holzspäne, Schafwolle, Baumwollvlies und Flachsvlies in eine Waidlasur getaucht, getrocknet und die Entflammbarkeit, bzw. das Brennen und Glimmen beobachtet. Auch hierbei war das Resultat durchaus sehenswert, denn durch diese Versuchsreihen konnte eine flammhemmende Wirkung festgestellt werden.
In einem weiteren, 1994 erstellten Gutachten des Institutes für Baubiologie und Ökologie in Neubeuern (IBN) wurde, wie auch schon an der Universität Bayreuth die Wirkung des Waids gegenüber Schimmelpilzen ( Penicillium, Aspergillus, Fusarium, Alternaria und Cladosporium) untersucht. Auch hier konnte festgestellt werden, dass Verbindungen des Waids pilzwirksam (abtötend) sind.
Der Waid bzw. dessen Inhaltsstoffe erfuhren also in der jüngeren Vergangenheit gleich mehrfach wissenschaftlich basierende Untersuchungen, die seinen möglichen Nutzen über diverse Einsatzgebiete für durchaus sinnvoll erklären. Es bleibt hierbei zu hoffen, dass diese Untersuchungsergebnisse nicht ungenutzt in Schubladen vergessen werden und im besten Falle schon bald wieder jede Menge Waidprodukte im Warenregal zu finden sind. Ich für meinen Teil, erfreue mich Ende Mai über eine wundervolle gelbe Blütenpracht im Garten und genieße regelmäßig Waidtee aus dem Eigenanbau.
Wenn Ihnen dieser Text zu wissenschaftlich war, dann empfehle ich Ihnen, das in jedem Buchhandel erhältliche Buch „Natürliche und pflanzliche Baustoffe“ (zweite Auflage). Hier werden Sie über mehrere Seiten und vor allem in einfach verständlichen Worten nicht nur die Geschichte und den Nutzen von Waid erlesen können, sondern auch Anleitungen finden, wie man den Waid im eigenen Garten anbauen und mit einfachen Mitteln weiterverarbeitet kann.
Den erwähnten Waidtee, der wohlgemerkt auch eine antiseptische Wirkung aufweist, können Sie im Übrigen aus den gewaschenen, getrockneten und zerkleinerten Blättern der Pflanze herstellen. Einfach die getrocknete Blattware mit kochendem Wasser aufgießen, 1 Minuten ziehen lassen und schon haben Sie einen wundervollen Tee, der ein leichtes Raucharoma und einen Hauch des Geschmackes von grünem Tee mit sich trägt. Aber lassen Sie den Tee nicht zu lange ziehen, sonst wird selbiger bitter.
Eine weitere Möglichkeit einen antiseptischen Tee aus Waid herzustellen ist, das Mischen mit anderen Kräuterpflanzen. So kann kann man ca. 50 % getrocknete und zerkleinerten Waidblätter mit ca. je 10 % getrockneten und zerkleinerten Blätter der Ringelblume, der Brennessel, der Erdbeere, der Brombeere und der Melisse zu einer Kräutermischung vermengen. Alternativ kann man auch zerkleinerte Blätter der Mistel, der Johannisbeere, der Kamille, der Pfefferminze und der Himbeere wählen. Diese Kräutermischungen werden mit kochendem Wasser aufgegossen, 1 bis 4 Minuten ziehen gelassen und sind dann trinkfertig. Natürlich sollten die Kräuter, auch hier vor dem Trocknen, gründlich gewaschen werden.
Wenn es um die Textilfärberei geht, können Sie folgende, von Dr. Josef Bersch um 1900 verfasste Rezepte, ausprobieren (hier vom Original zitiert):
Pastellküpe
100 kg Pastell (das ist bester französischer Waid) mit kochendem Wasser übergossen, 10 kg Krapppulver, 4 kg Kleie, 4 kg gebrannter gelöschter Kalk. Alle 3 Stunden umgerührt während 24 Stunden, dann mit dem Färben begonnen.
Pastellküpe modifiziert
6.500 – 7.000 L Wasser, 35 bis 40 g Waid, 5 kg Indigo, 7-8 kg Krapp, 6 kg Pottasche, 6 kg Soda, 4 kg Kalk, 20 Kg Kleie durchgerührt, auf 40°C erwärmt, 24 Stunden sich überlassen. Wenn die Küpe grünlich geworden ist, hebt man die Temperatur auf 60°C, rührt alle 5 Stunden um und setzt immer 1 kg Kalk zu, bis die Küpe gelb geworden ist, und beginnt dann mit dem Anfärben. Um dunkles Blau zu erhalten , setzt man noch bis zu 2,5 kg Indigo zu und außerdem für 1 Kg Indigo 1 Kg Melasse.
Förderer und bekannte Namen im Zusammenhang mit Waid:
Malermeister Wolfgang Feige
Herr Wolfgang Feige führte die Waidproduktion Anfang der 1980er in Thüringen wieder ein und erforschte hierbei über 20 Jahre lang Möglichkeiten und Produkte mit Waid. Vielfach ausgezeichnet für seine Arbeit erstellte er eine große Menge an patentierten Rezepturen und Produkte. Mittlerweile im wohlverdienten Ruhestand feierte er dieses Jahr (2012) seinen 82 Geburtstag. Eine kleine Auswahl an Waidprodukten verkauft mittlerweile seine Schwiegertochter. (Kontaktdaten können Sie über das Sachverständigenbüro Holzmann-Bauberatung erfragen, siehe unten).
Hanskarl VIII Freiherr von Thüngen
Baron Hanskarl von Thüngen (62) förderte viele Jahre die von Wolfgang Feige durchgeführten Forschungen zum Waid und dessen Anbau und sanierte selbst einen Teil seiner zum Schloss von Thüngen gehörenden Gebäude mit Waidprodukten. Für sein Engagement in Bezug auf die Wiederverarbeitung des Waids und der Gewinnung von natürlicher Farbe daraus erhielt der Freiherr 2001 von Staatsminister Hans Zehetmair die Denkmalschutzmedaille. Am Rande bemerkt, Hanskarl von Thüngen war zwischen 1992 und 1994 Kanzleramtsberater und begleitete zu jener Zeit den damaligen Bundeskanzler Helmut Kohl beim Aufbau Ost.