Egal ob haarfein oder fingerdick, zwei Dinge haben alle Risse im Wärmedämm-Verbundsystem (WDVS) gemeinsam.
Sie öffnen die „Putztüre“ für Feuchtigkeit und Verunreinigungen, die Grundlage/Nahrung für Algenwachstum und mehr sein können und nicht selten auch für Insekten, die dann in den Zwischenräumen ihr gemütliches Zuhause einrichten. Insekten und Staub mag in vielen Fällen nicht so schlimm sein, Algen schaden dem Putz erst einmal auch nicht (erst einmal – auf Dauer und unter dem Mikroskop betrachtet sieht das anders aus) aber Feuchtigkeit kann zu erheblichem Schäden führen – vor allem wenn diese im Winter gefriert und das Nass durch die Volumenvergrößerung beim frieren den Putz von der Dämmplatte drückt.
Der zweite gemeinsame Nenner ist, dass Putzrisse überall dort auftreten, wo durch Formveränderungen Spannungen entstehen, die größer sind als die innere Festigkeit der Putzschale und somit selbige reißen lassen. Diese Spannungen wiederum haben eine Vielzahl von Ursachen. Einige davon sind mit einem geschulten Auge schon am Rissbild erkennbar, andere muss man öffnen und genauer betrachten. Der berühmteste Vertreter dürfte hierbei der beim WDVS i.d.R. putzbedingte Kerbriss sein. Ein Riss, der zumeist diagonal von eckigen Maueröffnungen ausgeht und hervorgerufen wird durch die Scherspannungen in diesem Bereich.
Wie kann es sein, dass es so viele gedämmte Fassaden mit Rissen gibt?
Wir haben bei einem WDVS im Allgemeinen einen Dämmstoff in Plattenform, der gedübelt und geklebt an die Fassade gebracht wird (Ausnahme z.B. nur gedübelte Schilfdämmplatten und div. Holzfaserplatten mit weichem Rücken, die auch nur gedübelt werden oder WDVS mit Verbindungsprofilen, siehe: “Das Wärmedämm-Verbundsystem“ und letztlich auch neuere Systeme, die nur geklebt werden), hierauf kommt ein sogenannter Armierungsputz mit einer Gewebeeinlage und darauf folgt dann der Oberputz und in den meisten Fällen der Farbanstrich.
Das klingt alles einfach und für die meisten Bauherren wie eine Arbeit, die man nicht falsch machen kann. Zu diesem wird oftmals auch in Tageszeitungen, bunten Freizeitmagazinen, Werbemagazinen der Bausparversicherungen und ähnlichem, darüber berichtet.
Ein Grund warum es viele Eigenheimbauer selbst versuchen oder einfach ungelernte und vor allem günstige Arbeitskräfte für solche Arbeiten beauftragen. Nicht selten ein fataler Fehler. Die Angebotsschlacht im Bereich der Wärmedämm-Verbundsysteme ist unglaublich. Echte Fachfirmen lehnen solche Arbeiten schon ab, weil sie mit Angeboten von sogenannten Billiganbietern einfach nicht mithalten können. Das Resultat heißt schlicht und einfach Baupfusch und gepfuscht kann sehr viel werden. Da werden z.B. Kompribänder an den wichtigen Bauteilen weggelassen und nur sogenannte Füllstreifen, ab und an sogar auch nur ein Klebeband an dessen Stelle, verwendet. Sehr häufig wird beim Kleben der Dämmplatten keine Verbandsverlegung berücksichtigt und Fugen gar mit dem Dämmstoffkleber ausgefüllt. Die später erhöhten Spannungen an den Ecken von Gebäudeöffnungen werden gerne völlig weggedacht. Da läuft nicht nur die Fuge des Dämmplattenverbandes genau in die Gebäudeecke, nein, da wird auch die Diagonalbewehrung einfach mal weggelassen. Dass man einen Dachüberstand bei vielen Gebäuden erweitern muss, möglicherweise neu gesetzte Fenster bündig mit der alten Fassadenebene setzt, um Wärmebrücken durch die Anschlussfuge oder schlecht gedämmte Fensterlaibungen zu verhindern, Fallrohrableitungen versetzt und viele andere „Kleinigkeiten“ berücksichtigen muss, das wird bei einem Angebot fast immer vernachlässigt. Man klärt den Kunden auch nicht darüber auf. Das sind später gut bezahlte Regiearbeiten, die unter dem Strich das viel zu billige Angebot ausgleichen werden. Der Kunde Bauherr sieht das alles erst ganz am Ende. Dann, wenn der Geldbeutel leer und der Auftragnehmer schon lange beim nächsten Haus oder gar im fernen Ausland ist.
Im Ergebnis finden wir immer seltener Fassaden, die ein Wärmedämm-Verbundsystem tragen und keine Mängel in Form von Rissen aufzeigen. Gut für uns Bausachverständige, weil viele Aufträge. Schlecht für den Bauherrn, weil er für eine minderwertige Arbeit viel Geld bezahlte und noch schlechter, weil in sehr vielen Fällen vom Bauherrn viel zu spät gehandelt wird.
Nach der Gewährleistungsfrist ist eben einfach keine Gewährleistung mehr da und ein offensichtlicher Riss ist definitiv kein versteckter Mangel.
Auch bei der Schadensbeurteilung wird natürlich gespart. Man sucht nicht den neutralen Sachverständigen mit der vermeidlich längsten und tiefgründigsten Erfahrung, sondern greift nicht selten einfach mal zum Vertreter des Putzherstellers zurück, der womöglich auch noch vom Auftragnehmer empfohlen wurde – kostet nichts, bringt aber auch nichts, dies gleich mal vorab. Der Putzhersteller sagt selten anderes aus, als dass sein Putz ok ist und noch viel seltener wird er seinem Kunden (dem Verarbeiter) den schwarzen Peter zuschieben. Denn die Gefahr, dass selbiger nach dem Anschwärzen zu einem anderen Hersteller wechselt ist groß und damit Umsatz verloren.
Wir fassen zusammen – es wird (häufig) gepfuscht, weil der Bauherr zumeist den günstigen Anbieter sucht und viel zu wenig hinter den Vorhang von Werbung und Billigangeboten blickt. Aber er holt sich auch gerne mal von vorn herein den Falschen zur Beratung.
Zugegeben es ist schwer, vor allem wenn man, was auch gerne getan wird, Rat bei einem Verkäufer sucht. Mag man doch denken, dass der Fachhandel hier Profis im Verkauf hat. Profis sicher, aber immer seltener Profis aus dem Bauwesen, weil diese einfach erheblich mehr kosten als ein Verkäufer. Man baut zumeist auf reine Kaufleute, professionellen Verkäufer, nicht selten sehr gut rhetorisch geschult. Diese werden mittels Kurzseminaren mit Verkaufsformeln gefüttert, mit welchen sie dann wiederum auf Kundenjagd gehen. Der allgemeine Bauwillige hinterfragt solch Formeln kaum und wenn, dann bekommt er nach kritischer Fragestellung ausschweifende Antworten, die viel enthalten, aber nur selten eine Antwort auf die gestellte Frage. Möglich wird das durch die ein oder andere Rhetorikschulung, die ein Vertreter durchwandert, um damit möglicherweise peniblen Fragen aus dem Wege zu gehen. Ein Vorgehen, das schon mehr als drei Jahrzehnte bei den großen Baustoffherstellern (aber auch anderen) angewandt wird, um Verkäufer auf die möglichen Kunden möglichst gewinnbringend anzusetzen. Wer nett spricht und dazu beispielsweise noch die umstrittene aber wohl auch nicht ganz unsinnige neurolinguistische Programmierung (NLP) beherrscht, weiß eben wann und wie er beim Gegenüber Gehör erhält. Bautechnisch hat das alles keinerlei Relevanz, es geht einzig darum dem möglichen Kunden auf die richtigen Fühler zu treten und ihm das zu verkaufende Produkt schmackhaft zu machen – auch wenn er es vielleicht gar nicht benötigt.
Handwerker wissen natürlich auch, dass der Bauherr günstig will. Also werden viele sicher kommende Kosten einfach versteckt. Ähnlich wie bei einem Make-up in einem Frauengesicht, welches die vielleicht deutlich ersichtlichen Spuren der Alterung verblenden soll, um das Erscheinungsbild gegenüber den Betrachtern attraktiver wirken zu lassen. Arbeiten die immer nötig sind, jedoch nicht unmittelbar in das eigene Gewerk fallen, und sei es nur das Demontieren der Fallrohre, werden schon mal grundsätzlich erst nach Vertragsunterschrift und Auftragserteilung bekannt gegeben. Solch Dinge machen Angebote undurchschaubar für einen Laien, daher kann man nur empfehlen, achten Sie darauf, was alles angeboten wird und im besten Falle lassen Sie das Angebot einfach durch einen neutralen Bausachverständigen prüfen. Eine solche Angebotsprüfung kostet mit einer Vor-Ort-Begehung vielleicht zwischen 120 und 150 Euro, ein kleines Geld im Vergleich zu einer Sanierung des Baupfusches der gerne mal weit über 10.000 Euro liegen kann. Eine zusätzliche Absicherung wäre – und das ist mittlerweile in jeder Hinsicht zu empfehlen – beauftragen Sie einen Bausachverständigen mit der neutralen Überwachung der Bauaufgaben – auch wenn Sie bereits einen Architekten und einen Bauleiter involviert haben, auch hier wird nicht selten gepfuscht oder Baupfusch einfach übersehen. Nicht zu vergessen ist, dass in aller Regel und sofern nicht explizit eine Baukostengrenze festgelegt wurde, ein Planer mit einer steigenden Bausumme auch mehr verdient.
Dieser Text wurde erstellt am 13. September 2011